Über Theodor Kramer
Meine Bekanntschaft mit Theodor Kramer verdanke ich dem Schuleschwänzen. Also, nicht direkt Schwänzen, aber richtig krank war ich auch nicht. Es war in der fünften oder sechsten Klasse, damals gab es im Fernsehen noch den sogenannten Schulfunk. Eine halbstündige Sendung war dem Weinviertler Dichter Theodor Kramer gewidmet. Man sah die Landschaft rund um seinen Geburtsort Niederhollabrunn – Hügel, Weingärten, Lößgräben, Ackerwege, geduckte Dörfer – und man hörte seine Gedichte, die ebendieser Landschaft plastisch und sinnlich Gestalt verliehen. Ich war fasziniert und beschloss, mich mit dieser eigentümlichen, irgendwie „unlyrischen“ Lyrik einmal eingehender zu beschäftigen. (…) und so stürzte ich mich in die Kramersche Welt der Taglöhner und Weinmägde, der Markthelfer und „Ausgesteuerten“, der durchs „Buckelland“ wandernden Liebespaare, der Stromer und Huren. Kramer, so entdeckte ich, ist der Sänger der Erde und der Branntweinschenke, der Ziegelbrennerei und des Schützengrabens, er liebt die Peripherie, das Niemandsland zwischen Acker und Stadt, er ist melancholisch und aufmüpfig, zart und derb, bodenständig und „wurzellos“.
(…) Man kann Kramers Sound auf sich wirken lassen wie einen guten Blues, und wie ein guter Blues umfasst er die ganze Spannweite des Lebens, dunkel getönt, aber umso glühender in der Beschwörung des „schönen Überschwangs“, der das menschliche Dasein trotz aller Mühsal rechtfertigt. (…) Mehr als zehntausend Gedichte hat er geschrieben und damit ein unverwechselbares Werk geschaffen, „gute glaubwürdige Dichtung zwischen den Moden von Heimatkunst und Neuer Sachlichkeit“ (Andreas Okopenko). Kramer selbst positionierte sich als „Chronist meiner Zeit“ und als poetischer Realist gegen die schöngeistige Lyrik der Rilke-Epigonen, er wagte einiges in Sujet und Thema, in der Form setzte er auf Bewährtes, auf die Liedstrophe und den Reim. Er pflegte aber auch einen Wortschatz des Ländlich-Besonderen, mitunter Musealen. Kramers Engagement „für die, die ohne Stimme sind“, ist nicht mit parteipolitischer Propaganda zu verwechseln. Seinen Genossen waren seine Gedichte zu wenig kämpferisch, den Nazis waren sie zu marxistisch und zu „jüdisch“.
(Daniela Strigl)